Corbyn: Besser Kommunist in den Augen der Konservativen, als Status-Quo-Kandidat fürs eigene Klientel!

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Dieser Text ist ein Kommentar zu dem am 10. Juni 2017 im Kontra-Blog erschienen Artikel „HEISST VON CORBYN LERNEN, SIEGEN LERNEN?“ von Florian Burkhardt. Für das Textverständnis ist es also unabdingbar, diesen Artikel sorgfältig gelesen zu haben.

In seinem Artikel „Heißt von Corbyn lernen, siegen lernen?“ kommt der Autor Florian Burkhardt, wenn ich den Text richtig verstehe, zu dem Ergebnis, die SPD sollte aus dem überragenden Ergebnis der Labour Party mit Jeremy Corbyn als Parteichef und PM-Kandidat nichts weiter lernen, als einen Wahlkampf wie bisher zu machen, in dem lediglich die Jugend besser angesprochen, weniger über den politischen Prozess diskutiert und mehr Professionalität und Geschlossenheit gezeigt wird.
Auf keinen Fall aber sollte sie sich eine  "Prise Linkspopulismus" von Corbyn abschauen. Das sei unmöglich und unnötig, weil eine Rhetorik, wie die Crobyns, für die SPD als Regierungspartei nicht vertretbar, das SPD-Programm genauso links wie das Labour-Manifesto und der Grund für Corbyns Erfolg sowieso nur der schlechte Wahlkampf der Tories gewesen sei.

Ich komme in meiner Analyse zu einem anderen Schluss.

Erstens: Warum genau "Linkspopulismus", wieso genau kann man sich von Corbyn "Linkspopulismus" abschauen? Ich verstehe unter Populismus das Verwenden von Scheinlösungen und Sündenböcken (wie "Machen wir Amerika wieder großartig, indem wir die Mexikaner rauswerfen"). Wenn Corbyn sagt, "Der NHS ist unterfinanziert, also lasst uns die Einkommenssteuer erhöhen und die Erlöse in ihn investieren, anstatt ihn zu privatisieren, wie es die Tories wollen.", dann ist das für mich auch dann kein Populismus, wenn er es in einer Art sagt, die Menschen mitreißt und begeistert. Oder ist das seit neuestem die Definition von Populismus?

Zweitens: Wenn eine Rhetorik, wie Corbyns, für die SPD nur möglich ist, wenn sie in der letzten Legislaturperiode Oppositionspartei war, warum fiel die Wahl 2013 dann so aus, wie sie ausfiel? Nein, wenn die Labour-Party von irgendjemand anderem als Corbyn geleitet worden wäre, dann wären alle noch so linken Versprechungen angesichts der Blair und Brown-Regierungsjahren unglaubwürdig gewesen. Corbyn hatte den Vorteil, dass er in keiner Verbindung zu irgendeiner vorherigen Regierung stand. Das hat Schulz übrigens mit ihm gemeinsam. Wieso also nicht eine Rhetorik mit der man sich von den schlechten Aspekten vorangegangener Regierungen abhebt?

Drittens: Das SPD-Programm ist jetzt schon genauso links/sozial wie das Labour-Manifesto? Kann sein, aber warum wissen das die Wähler nicht?  Wie es scheint sind sich nicht einmal SPD-Spitzenleute wie Nils Schmid, der Corbyn vor einiger Zeit noch als zu links zum Gewinnen bezeichnet hat, darüber im Klaren. Nein, im Ernst, wo fordert die SPD denn die (Wieder)verstaatlichung von Bahn, Post und Energiekonzernen, wann hat der das letzte mal ein SPD-Politiker ganz offen vorgeschlagen, Steuern zu erhöhen um Sozialleistungen zu sichern? 

Viertens: Das gute Ergebnis von Labour war nur eine Folge des schlechten Wahlkampf der Tories?  Mit Corbyn hat Labour das beste Ergebnis seit 12 Jahren erreicht, dabei war die Wahlbeteiligung so hoch, wie seit 20 Jahren nicht mehr. Sprich: Es schon eine ganze Weile her, dass so viele Menschen Labour gewählt haben. Wenn Mays schlechter Wahlkampf tatsächlich die Ursache für den Labour-Erfolg gewesen ist, hätte man dann nicht eher eine Demobilisierung der Tory-Wähler, also eine niedrigere Wahlbeteiligung, anstatt einer so guten Mobilisierung der Labour-Wähler und einer so hohen Wahlbeteiligung beobachten sollen? Des weiteren haben die Tories in dieser Wahl 5% dazugewonnen, die UKIP de facto absorbiert und in Umfragen über die Beliebtheit der Kandidaten stand  May bis zu letzt gar nicht so schlecht da. 
Labour hat auch keinen Anti-May-Wahlkampf geführt, sondern die eigenen Inhalte in den Mittelpunkt ihrer Kampagne gestellt.
Daher kann ich die Aussage nicht nachvollziehen, dass man aus Labour-Erfolg nicht schließen soll, dass die Wähler "eine Affinität für Jeremy Corbyns Kurs" haben.
Zumal weiter oben im Artikel noch behauptet wird, das Labour-Manifesto und das SPD-Programm seien sich gar nicht so unähnlich. Ist das eine Form von Sozialdemokratischem Selbsthass?

Was in dem Artikel nicht beachtet wird, ist das Corbyn als Outsider und radikaler Anti-Establishment-Kandidat angetreten ist und keine Angst davor hatte, mit dem herrschenden System klar zu brechen. So hat er es geschafft, dem Wähler zwei klare Option aufzuzeigen: Ein Weiterso mit Privatisierung, Austerität und hartem Brexit oder ein radikaler Kurswechsel mit Investitionen, (Wieder)verstaatlichungen, Umverteilung und weichem Brexit. Und ich denke das ist es, was die Labour-Party in dieser Wahl so erfolgreich gemacht hat, warum sie die Jugend und ihr Klientel so gut mobilisieren konnte.

Wenn die SPD also von Corbyns Überraschungserfolg (und übrigens auch von denen von Sanders, Melenchon, Podemos, usw) eines lernen kann, dann, dass die althergebrachte Annahme "Wahlen werden in der Mitte gewonnen" heutezutage nicht mehr gültig ist. Die Wähler sind nicht Gauß-Kurven-Förmig über eine Links-Rechts-Achse verteilt. 
Anstatt zu versuchen die Wähler der Mitte nicht zu verschrecken, indem man die eigenen Positionen verwässert, sollte es das Ziel des Wahlkampfs sein, das linke Potential, das es, wie man sieht, gibt, auszuschöpfen. Und das gelingt nur, wenn man sich traut Probleme klar zu benennen, starke linke sozialdemokratische Lösungen anzubieten und Interessenskonflikte anzuerkennen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. 
Denn am Ende des Tages ist es besser, wenn die politische Rechte einen für einen Kommunist hält, als wenn das eigene Klientel denkt, man sei ein Status-Quo-Kandidat.


Wendelin Wahn
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Bildquelle:
By Sophie Brown - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=58697891

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